Strade Bianche: Ein schottriger Neoklassiker wartet auf Österreichs Profis in der Toskana
Eigentlich besteht der italienische Frühling klassischerweise aus der Rundfahrt Tirreno-Adriatico und dem Eintagesrennen Mailand-Sanremo. Doch seit 2007 hat sich ein weiteres Rennen in Italien dazugesellt und mit seiner spektakulären Streckenführung rund um Siena zu einem jungen, aber wahren Klassiker schon entwickelt. Die weißen Straßen, Strade Bianche, bilden am Samstag die Grundstruktur für das Paris-Roubaix des Südens.
184 Kilometer hat das Rennen, dass einmal um die zauberhafte Stadt im Herzen der Toskana, Siena, führt. Ein Drittel davon führt über die so genannten Strade Bianche, weiße Schotterpassagen. Insgesamt 63 Kilometer unbefestigte Straßen sind auf elf Sektoren aufgeteilt und sorgen meist schon für eine Vorentscheidung, ehe der lange und steile Schlussanstieg hinauf zum Piazza del Campo wartet. Dieser ist nicht nur das Finish vom berühmten Pferderennen Palio oder der Oldtimerrallye Mille Miglia, sondern nun auch seit 2007 jener des von Angelo Zomegnan entwickelten Radrennen.
„Gerade die Schotterstraßen machen dieses Rennen speziell. Teilweise sind es richtig lange Sektoren und du musst darauf technisch gut sein, denn wir knallen da teilweise mit über 60 km/h drüber“, weiß Michael Gogl (Qhubeka – Assos). Der österreichische Puncheur wird seine südafrikanische Mannschaft auf die toskanischen Straßen am Samstag führen. „Im Fernsehen sehen die Straßen gut aus, aber da sind auch richtig heftige Schlaglöcher drinnen und so muss man speziell bergab das Risiko richtig wählen.“
Im letzten Jahr fuhr er lange mit dem späteren Sieger Wout van Aert (Jumbo – Visma) an der Spitze des Rennens, landete am Ende auf dem neunten Rang. Auch wenn der Oberösterreicher damals einen Hitzschlag davontrug, so blieben die Erinnerungen an die Austragung, die im vorigen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie im August veranstaltet wurde, gut: „Denke ich an 2020 zurück, so ist das eine große Motivation. Nach dem Opening-Weekend in Belgien weiß ich, dass die Form passt. Ich habe die volle Unterstützung aus meiner Mannschaft und dementsprechend am Samstag viel vor.“
Das Rennen in der Toskana bringt für Gogl alles mit, was einen Klassiker ausmacht. „Die Sektoren sind richtig lange. Auf elf Kilometer Schotter folgen 1.000 Meter auf Asphalt und schon geht es in den nächsten Sektor rein, der wieder acht Kilometer lang ist. Und im Gegensatz zu Belgien warten noch viel mehr Höhenmeter. Das Gesamtpaket der Strade Bianche ist schon ziemlich ausgiebig“, erklärt der 27-Jährige.
Die Kulisse des Rennens mit dem von Renntross aufgewirbelten Staub, entlang der toskanischen Zypressenhaine durch kleine Dörfer ist fast schon einzigartig auf der WorldTour. Doch die schönen Bilder können lediglich die Zuseher im Fernsehen genießen. Auf die Männer und Frauen am Rad wartet ein harter Tag mit steilen Anstiegen, groben Schotter und teilweise sehr feinem Sand. Stürze und Defekte prägen das Tagesgeschehen und vor allem die Helfer sind extrem gefordert.
„Dieses Rennen wollte ich schon immer einmal fahren“, erzählt Patrick Gamper. Nach seiner starken Leistung bei Kuurne-Brüssel-Kuurne, wo der Tiroler bis 1,7 Kilometer vor dem Ziel an der Rennspitze fuhr, brachten ihn in das Aufgebot von Bora – hansgrohe für das Rennen in der Toskana. „Im TV habe ich es mir immer gerne angeschaut und freue mich nun auf meine Premiere“, fügte der junge Tiroler an.
Für den 24-Jährigen ist es allerdings aber nicht der erste Einsatz auf den Schotterstraßen der Toskana. Denn vor zwei Jahren führte ihn die zweite Etappe der U23-Italienrundfahrt Giro Ciclistico d’Italia über ähnliche Gravelpassagen. Seine Mannschaft brachte damals vier Fahrer in die Top acht des Tages, darunter auch Gamper: „Die Etappe habe ich in guter Erinnerung und es hat damals riesigen Spaß gemacht. Außerdem bin ich gerne in Italien und speziell die Toskana mag ich sehr.“
Ebenfalls im Aufgebot des deutschen WorldTeams findet sich Patrick Konrad wieder. Der Niederösterreicher fuhr zuletzt die UAE Tour und wird neben Emanuel Buchmann und eventuell dem aus dem Mountainbikesport gewechselten Ben Zwiehoff die Hoffnungen des Raublinger Rennstalls am Samstag tragen. Auch für den Achtplatzierten des Giro d’Italia 2020 ist es die Premiere auf den weißen Straßen in der Toskana.
Als Schotterspezialist ist Hermann Pernsteiner (Bahrain - Victorious) bekannt. Der frühere Mountainbiker fühlt sich sich auf losem Terrain pudelwohl: „Die Straßen machen das Rennen besonders und mir gefallen sie gut.“ Für den starken Kletterer aus der Buckeligen Welt in Niederösterreich ist das Rennen der Saisoneinstand. „Ich war zuletzt zweieinhalb Wochen in Gran Canaria im Trainingslager, nachdem meine ersten Rennen alle abgesagt wurden. Jetzt bin ich froh, dass es endlich losgeht. Gleich am Sonntag wartet noch ein Eintagesrennen auf mich, dann folgen mit Katalonien und der Tour of the Alps die ersten Rundfahrten“, schilderte Pernsteiner, der am Samstag den Slowenen Matej Mohoric unterstützt: „Er ist unsere absolute Spitze in diesem Rennen.“
Beim Rennen der Frauen, welches über 136Kilometer und acht Schotterpassagen führt, gibt Nadja Heigl ihr Straßendebüt im italienischen Rennstall Servetto - Makhymo - Beltrami TSA. Die Cross- und Mountainbike-Spezialistin versucht sich 2021 eine volle Saison auf der Straße. „Gegenüber den heimischen Rennen, die ich bislang gefahren bin, wird das Tempo um einiges höher sein und auch das Feld ist größer. Mein Ziel ist es, den Piazza del Campo zu erreichen“, erzählte die Wienerin.
„Es ist eine völlig neue Herausforderung, auf die ich mich schon sehr freue. Wichtig ist mir, am Samstag ein gutes und vor allem unfallfreies Rennen zu haben“, so Heigl, die 2018 im Querfeldein die erste Medaille für Österreich bei Weltmeisterschaften eroberte. Damals eroberte sie Bronze in der Kategorie U23. „Es wird ein schwieriges Rennen werden. Auf den vielen Hügeln wird sicherlich ordentlich attackiert werden, die Schottersektoren sollten mir fahrerisch entgegenkommen“, blickte sie auf ihr Strade-Debüt voraus.
Fotos: Damian Murphy, RCS-Sport, Mario Stiehl
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