Paracycling-Team sorgt für gleich drei Zeitfahrmedaillen in Zürich
Gleich zwei Regenbogentrikots für das rot-weiß-rote Team brachte der vierte Tag der Straßen- und Paraweltmeisterschaften in Zürich in der Schweiz. Zum ersten Mal in seiner Karriere sicherte sich der Steirer Thomas Frühwirth, zuletzt zweifacher Medaillengewinner bei den Paralympics, den Titel im Einzelzeitfahren der Klasse H4 im Handbike. In der gleichen Klasse bei den Frauen gab es durch Svetlana Moshkovich und Cornelia Wibmer sogar einen Doppelsieg und die beiden Österreicherinnen lieferten sich ein enges Duell bis zur Ziellinie. Zwischen Gold für Moshkovich und Silber für Wibmer lagen gerade einmal 1,95 Sekunden.
"Die erste Goldene ist eine lässige Sache. Zehn Medaillen habe ich schon bei Weltmeisterschaften gewonnen, nun auch endlich mal das Regenbogentrikot", freute sich Frühwirth, der mit 43 Jahren zum ersten Mal Weltmeister wurde. Neben der Freude schwamm auch ein bisschen Wehmut mit, stand sein Dauergegner Jetze Plat, der den Steirer zweimal bei den Paralympischen Spielen zuletzt in die Schranken gewiesen hatte, diesmal nicht am Start.
Der Niederländer hat seine Karriere nach Paris beendet. "Ich wäre unglaublich gerne gegen ihn hier gefahren. Denn ich war heute so stark, ich hätte ihn wohl auch schlagen können", grinste Frühwirth, der immer wieder in dem Niederländer einen fast unbezwingbaren Gegner fand in den letzten Jahren.
Auch schon bei den Paralympics in Tokio war es Plat, der eine mögliche Goldmedaille von Frühwirth verhinderte. "Er hat unseren Sport auf ein neues Niveau gehoben, als er zu unserer Klasse kam. Wir mussten voll an unser Limit gehen, um an ihn Anschluss zu finden. Acht Jahre lang hat das gedauert und in der Saison waren wir dran. Der Aufwand war brutal, ich trainiere 800 und 1.200 Stunden im Jahr", schilderte der Steirer, der in Zürich 57 Sekunden vor dem Schweizer Fabian Recher gewann, Joseph Fritsch hatte als Dritter aus Frankreich 1:15 Minuten Rückstand.
Im Straßenrennen nun einer der Topfavoriten
"Zum Glück bin ich mitgekommen mit den Jungen, denn ich könnte von beiden, die neben mir am Podium stehen, der Vater schon sein mit meinen 43 Jahren", scherzte Frühwirth, der auf dem völlig flachen Kurs entlang der Zürcher Seepromenade eine Klasse für sich war: "Die Strecke war mit Sicherheit die schnellste Strecke. Der Schweizer Straßenbelag war wie geleckt und daher war es extrem wichtig immer voll anzudrücken."
Schon zur Halbzeit lag er überlegen an der Spitze, war sich der Goldmedaille sicher, die er dann einfahren konnte. Am Sonntag wartet dann auf ihn noch das Straßenrennen, in welches er nach seinem Titelgewinn im Zeitfahren mit breiter Brust gehen kann. "Es ist eine richtig geile Strecke, die jetzt noch im Straßenrennen wartet. Gleich nach dem Beginn geht es drei Kilometer berghoch mit über zehn Prozent. Da würde es mich sehr überraschen, wenn wir uns nicht gleich am Start absetzen könnten. Viel mehr als drei Athleten werden wir wohl nicht sein nach zehn Kilometer. Die Steigung kommt mir sehr entgegen", blickte er voraus.
Die Paracycling-Straßenrennen gelten als Ausscheidungsfahrt. "Vom Start weg wird voll gefahren, wer überbleibt bleibt über, wie bei Mountainbike-Rennen. Unsere Rennen dauern gut 90 Minuten und da musst du All-Out vom Beginn fahren", beschrieb Frühwirth, dessen Teamkollege Alexander Gritsch, zweifacher Bronzemedaillengewinner in dieser Klasse bei den Paralympics in Tokio, Achter wurde.
"Eigentlich wollte ich auch am Podium stehen, aber ich hatte keine Chance. Die Erkrankung nach Paris hat mir da die Luft rausgenommen. Es war eine lange Saison, jetzt heißt es gesund werden und die Akkus wieder aufladen für die neue Saison", so der Tiroler, der auf einen Antritt im Straßenrennen verzichten wird.
Nur Minuten nach Frühwirths Gold holen Moshkovic und Wibmer Doppelsieg
Seine Landsfrau Moshovich sauste bei den Frauen der H4-Klasse zum Titel. Die gebürtige Russin, die seit einigen Jahren für Österreich an den Start geht und ihren Lebensmittelpunkt in Innsbruck gefunden hat, bezwang dabei ihre Teamkollegin Wibmer hauchdünn. Nicht einmal zwei Sekunden hatte die Salzburgerin Rückstand auf die Goldmedaille, die drittplatzierte Deutsche Julia Dierkesman wies hingegen schon einen Rückstand von 54 Sekunden auf.
"Conny war vor mir gestartet und ich habe die ganze Zeit mit mir so gekämpft, die langen Geraden gleichmäßig zu fahren. Bei der Wende bemerkte ich, dass Jennette Jansen, die Favoritin, doch ein Stück hinter mir lag und wusste, jetzt habe ich die Chance auf Gold. Dass es dann Conny noch so spannend machte, wusste ich nicht", erzählte Moshkovich, die erst im Ziel vom engen rot-weiß-roten Goldkampf erfuhr: "Ich habe im Ziel gesagt bekommen, dass wir gerade einmal eine Sekunde auseinanderliegen. Dieser Titel ist sicherlich ein Highlight meiner Karriere."
"Ich habe am Sonntag noch dort auf der Strecke von vor neun Jahren trainiert, bin sie abgefahren und habe versucht die alten Erinnerungen wieder aufzusaugen."
Vor neun Jahren war sie schon einmal Weltmeisterin: "Den ersten Titel habe ich auch in der Schweiz errungen, gar nicht einmal weit weg wo wir jetzt unser Quartier haben. Ich habe am Sonntag noch dort auf der Strecke von vor neun Jahren trainiert, bin sie abgefahren und habe versucht die alten Erinnerungen wieder aufzusaugen. Auch im Sportstadion, wo wir damals den Start- und Zielbereich hatten, war ich nochmals. Ich hoffte das noch einmal zu schaffen, was mir damals gelungen ist und nun ist es wirklich so aufgegangen." Moshkovich weckte erfolgreich die Spuren der Vergangenheit, auch wenn zuletzt die Paralympics nicht nach ihren Geschmack verliefen.
"Ich bin absolut happy, nach Paris war es schwierig mich zu motivieren. Wenn du eine Medaille dort machst, dann prägt dich das und du gewinnst Energie. Ich hatte mir aber nen Post-Games-Blues eingefangen, aus dem ich mich rausholen musste. Ich habe um eine Medaille gekämpft, aber mit dem Titel nicht gerechnet", meinte sie.
Auch Wibmer blieb in Paris ohne Medaille. "Ich konnte den Looser-Modus ablegen und mit der Medaille bin ich sehr glücklich nun", freute sich die Salzburgerin. Der knappe Ausgang um Gold sorgte dann aber doch für ein wenig Unmut: Der Vizeweltmeistertitel ist etwas Besonderes, aber mit 1,95 Sekunden Rückstand ist das auch ärgerlich. Das nächste Mal bin ich an der Reihe."
Dennoch konnte Wibmer ihre WM-Medaille sehr positiv einordnen. "Nach der derben Niederlage in Paris hatte ich Zweifel, ob ich überhaupt nach Zürich fahren sollte. Es ging mir körperlich, aber auch geistig nicht so gut, dann habe ich mir noch Corona eingefangen, zum Glück nur leicht. Jetzt passt aber wieder alles und man sieht, was dann leistungstechnisch auch möglich ist", freute sie sich. Für das Straßenrennen am Donnerstag zählt sie neben Moshkovich nun zu den Hauptfavoritinnen. "Der Druck ist weg, jetzt können wir im Straßenrennen nachlegen. Wir sind beide sehr stark und können das Rennen bestimmen", blickte Moshkovich voraus.
Weitere Topplatzierungen in den anderen Para-Klassen
Tricylist Wolfgang Steinbacher aus Oberösterreich landete auf Rang sechs in der Klasse T2. "Beim Aufwärmen habe ich irgendwie gemerkt, dass meine Herzfrequenz stark raufgeht. Ich bin mein übliches Programm gefahren, war echt entspannt nach dem Start", schilderte der 25-Jährige, der auch nach Paris an Covid erkrankt war. "Das war natürlich keine gute Vorbereitung, vor allem weil richtig intensive Trainings gar nicht gegangen sind. Da ist so ein kurzes Zeitfahren alles andere als ideal. Vor allem die Spitzen haben gefehlt", fügte er an.
"Ich bin einfach der Typ für längere Rennen, habe die gut im Gefühl und genauso bin ich das Rennen angegangen. Der zweite Part war ganz gut", blickte er auf sein Rennen zurück. Mit dem Straßenrennen hat er noch eine Chance auf ein Topergebnis: "Es ist bei uns ein völliger Stadtkurs, da könnte es nochmals spannend werden. Ich werde versuchen mich so gut es geht zu verstecken und den richtigen Moment abzuwarten. Ob eine Medaille möglich ist, werden wir dann sehen."
In der Klasse H1, jener Athleten mit der schwersten Beeinträchtigung, wurde Handbiker Ernst Bachmaier Sechster. "Es war ein richtig geiles Rennen. So weit war ich nicht weg. Den zweiten Teil war ich richtig gut, ich brauche halt immer ein wenig, bis ich ins Rennen finde. Ich bin zufrieden. Die Inklusion sorgt für ein tolles Gefühl, wenn man neben Superstars wie Primoz Roglic oder Remco Evenepoel ins Rennen geht", freute sich der 54-jährige Oberösterreicher.
Mit 64 Jahren zählt der Wiener Wolfgang Schattauer zu den ältesten Teilnehmern im Feld. Der frühere Triathlet, der fünfmal beim Ironman in Hawaii am Start stand, ist seit einem Radunfall 1999 an den Rollstuhl gebunden und zählt zu den erfolgreichsten Paracycling-Athleten aus Österreich. 2008 wurde er Paralympics-Sieger, fünfmal in seiner Karriere wurde er Weltmeister.
"Bis auf eine Weltmeisterschaft in Kanada, war ich seit 2002 immer dabei. Ich bin zufrieden mit meinem Auftritt. Hier mit den Straßenfahrern in einem Event zu sein, ist eine schöne Entwickeln", meinte der Siebtplatzierte der H2-Klasse, der dann erklärte, dass er in Zürich seine letzten WM-Rennen in Angriff nehmen wird: "Ich weiß nicht, wie viele Weltmeisterschaften ich noch bestreiten werde in der Zukunft, aber dem Sport werde ich als fleißiger Handbikefahrer erhalten bleiben. Ich habe schon viel gewonnen in meiner Karriere. Das ist zwar schon eine Zeit lang her, aber die Titel vergehen nicht. Und ein Franz Klammer ist mit 60 auch keine Weltcupabfahrten mehr gefahren."
Auch der 56-jährige Andreas Zirkl gehört zu den nimmermüden Startern im rot-weiß-roten Team. Er landete in der Klasse C1 auf Platz neun. "Es war ziemlich windig, gefühlt hatte ich bei der Hin- als auch der Rückfahrt immer Gegenwind gehabt. Von der Zeit her bin ich eine Minute hinter meinen Erwartungen", analysierte er sein Rennen. Von der Inklusion der Paracycling-Weltmeisterschaften in die Straßenrennen zeigte er sich auch begeistert: "Es ist ein großer Fortschritt. Schon im Vorjahr waren wir auf der Bahn integriert. Das ist optimal und da können wir nur Danke sagen für diese Inklusion."
Die immer steigende Entwicklung seines Sports hat er aufmerksam beobachtet in den letzten Jahren, sieht diese aber auch kritisch: "Der Sport hat sich enorm entwickelt – die Athleten haben immer weniger Behinderungen. Das geht ein bisschen zu Lasten jener Athleten, die schwerer betroffen sind. Es war immer ein Problem, die Klassenauswahl richtig zu treffen, aber momentan geht es gegen die Schwerstbehinderten, nachdem immer mehr Athleten in die niedrigste Klasse eingestuft werden. Das ist ein wenig die Kehrseite der Medaille."